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1. STASI-Befragung

Ministerium für Staatssicherheit der DDR - Stützpunkt Bad Schandau
Vernehmungsprotokoll vom 3. Juni 1983 - Beginn: 2.30 Uhr, Ende: 4.00 Uhr
Name, Vorname: Zehnle, Jürgen - PKZ: 010260... geb. in Rheinfelden/BRD
Tätigkeit: Büffettier / Arbeitsstelle: Schauspielhaus Leipzig

Hiermit wird Ihnen mitgeteilt, daß durch das Untersuchungsorgan des Ministerium für Staatssicherheit am 3.6.1983 gegen Sie ein Ermittlungsverfahren gemäß § 213 Abs. 2 und 4 StGB eingeleitet wurde. Sie werden als Beschuldigter über Ihre Rechte gemäß §§ 61 und 91 StPO belehrt. Sie werden gemäß § 105 StPO vernommen und gemäß § 106 StPO wird darüber ein Vernehmungs- protokoll gefertigt. Hiermit werden Sie darüber informiert, daß zusätzlich zum Protokoll eine Schallaufzeichnung gefertigt wird. Äußern Sie sich dazu!
Ich habe den Vorhalt verstanden und werde auch darauf antworten. Die gegen mich erhobene Beschuldigung besteht zu Recht. Ich hatte die Absicht, meine heutige Reise in die CSSR dazu auszunutzen, um von der CSSR aus die Staatsgrenze der CSSR zur BRD ungesetzlich zu überschreiten. In der BRD wollte ich dann meinen ständigen Wohnsitz nehmen und nicht wieder in die DDR zurückkehren. Meinen ungesetzlichen Grenzübertritt wollte ich im Raum Plzen durchführen. In der BRD wollte ich mich zu meinen dort lebenden Bruder Klaus-Dieter Zehnle begeben. Das Motiv für meine Straftat ist familiärer Natur. Über meine Rechte gemäß §§ 61 und 91 StGB wurde ich belehrt und habe im Moment keine Fragen dazu.

Wann und unter welchen Umständen faßten Sie den Entschluß zu diesem ungesetzlichen Grenzübertritt?
Erste Gedanken, die DDR illegal zu verlassen hatte ich vor etwa sechs Monaten. Mein Ziel ist es in die BRD zu gelangen. Um dies zu verwirklichen, habe ich 1979, genau am 19.11.1979 beim Rat des Kreises Quedlinburg einen Antrag auf Übersiedlung in die BRD gestellt. Dieser Antrag wurde, nachdem man mit mir ein Gespräch darüber geführt hatte, abgelehnt. Da ich jetzt eingesehen habe, daß eine Übersiedlung in die BRD auf legalem Wege nicht möglich ist, wollte ich es eben auf ungesetzlichem Wege versuchen.
Welche Aktivitäten unternahmen Sie außerdem um eine Ausreise nach der BRD zu erreichen?
Nach der ersten Ablehnung meines Antrages beim Rat des Kreises habe ich am 8.12.1979 einen ähnlichen Antrag an den Rat des Bezirks Halle, Abteilung Innere Angelegenheiten, und am 29.1.1980 nochmals an den Rat des Bezirks Halle geschickt. Ich bekam darauf überhaupt keine Antwort, ebenso wie auf den Antrag, welchen ich an das Ministerium des Innern nach Berlin geschickt habe. Am 18.8.1980 habe ich dann meinen Antrag auf Übersiedlung an den Staatsratsvorsitzenden der DDR geschickt. Von dort bekam ich ein Schreiben, daß mein Antrag eingegangen ist und bearbeitet wird. Weiter ist nichts geschehen.
Unter Ihren Unterlagen, die Sie bei sich führen, befinden sich zwei handschriftliche Durchschriften A4 vom 29.11.1978 beziehungsweise vom 19.11.1979, gerichtet an den Bundeskanzler der BRD. Äußern Sie sich dazu!
Diese vorliegenden Durchschriften sind mein Eigentum und von mir gefertigt worden. Die Originale habe ich an den Bundeskanzler der BRD angeschickt. Ich wollte damit meine Aussiedlungsbemühungen bekräftigen. Hilfe habe ich mir vom Bundeskanzler nicht erhofft. Diese Schreiben sollten nur informatorischen Charakter tragen. In den ersten Schreiben vom 29.11.1978 habe ich auch vorgeschlagen, eine eventuelle Antwort von dieser Behörde, über meinen dort in der BRD lebenden Bruder Klaus-Dieter Zehnle, wohnhaft in 7631 Lahr, Loh 17 zu senden. Mein Bruder hat Kenntnis von meinen Übersiedlungsbemühungen und ihn habe ich auch informiert, daß er die Antworten weiterleiten soll. Nach einiger Zeit hat mein Bruder auch geschrieben, daß das Bundeskanzleramt geantwortet hätte. Da ich es nicht geglaubt habe, hat er mir das Antwortschreiben zugeschickt. Es befindet sich ebenfalls unter meinen mitgeführten Unterlagen. In dem Schreiben wird meinem Bruder die Unterstützung der Bundesregierung zugesichert. Ihm wurde auch der Hinweis gegeben, sich in der Sache meines Aussiedlungsersuchens, an das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen zu wenden. Ehe ich dieses Schreiben erhielt, hat er mir in drei aufeinanderfolgenden Briefen jeweils einen zweiseitigen fotokopierten Fragebogen (dieser Behörde) zugeschickt. Also in jedem Brief befand sich so ein Fragebogen aber alle waren gleichen gleichlautend. Diese füllte ich nun aus und habe sie meinem Bruder wieder zurückgeschickt. Er hat diese Fragebogen dann weiter an das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen geleitet. Seit dieser Zeit habe ich nichts mehr über die ganze Angelegenheit gehört. Ich weiß nur, daß bei meinem Bruder in der BRD noch zwei oder drei Briefe vom Bundeskanzleramt der BRD liegen. Seit dieser Zeit beziehungsweise seit dem letzten Antrag an den Staatsratsvorsitzenden habe ich in meiner Übersiedlungsahngelegenheit keinerlei Aktivitäten unternommen.
Welche Vorstellungen hatten Sie über die Realisierung Ihres ungesetzlichen Grenzübertritts?
Wie ich konkret die Staatsgrenze CSSR/BRD überwinden wollte, darüber hatte ich keine Vorstellungen. Ich dachte mir, zunächst erst einmal bis in unmittelbare Grenznähe vorzudringen und die Grenze beziehungsweise deren Verlauf, aufzuklären. Dabei wollte ich so vorgehen, daß ich von möglichst wenigen Leuten gesehen werde. Soviel mir bekannt ist, aus Gesprächen und so, ist die Staatsgrenze CSSR/BRD nicht so stark abgesichert wie von uns zur BRD. Ich hatte mir aber vorgenommen, mein Vorhaben an der Staatsgrenze CSSR/BRD im Raum Plzen durchzuführen.
Aus welchen Gründen beabsichtigen Sie gerade im Raum Plzen Ihren ungesetzlichen Grenzübertritt durchzuführen?
Auf der Karte, welche ich mir vorher angesehen habe, befand sich der Raum um Plzen gerade in der Mitte der Grenzdreiecke DDR/CSSR/BRD und CSSR/BRD/Österreich. Einen anderen Grund für die Wahl dieses Ortes gibt es nicht.
Welche Kenntnisse besitzen Sie über die örtlichen Gegebenheiten an der Staatsgrenze CSSR/BRD?
Bis jetzt war ich nur einmal in der CSSR und zwar in Prag. Die örtlichen Begebenheiten an der Staatsgrenze CSSR/BRD kenne ich also nicht. Damit ich diese kennen lerne, wollte ich mich im Raum Plzen erst einmal ein bis zwei Tage aufhalten ehe ich mein Vorhaben, den ungesetzlichen Grenzübertritt, durchführen wollte. Wenn ich mich dann schon mal im Grenzgebiet beziehungsweise in der CSSR überhaupt befunden hätte, so wollte ich mein Vorhaben auch unbedingt in die Tat umsetzen.
Welche Vorbereitungen trafen Sie zur Durchführung Ihres ungesetzlichen Grenzübertritts?
Ich muß dazu sagen, daß meine Reise in die CSSR eigentlich gar nicht der Beginn meines Vorhabens, die DDR illegal zu verlassen, ist. Als ich mich entschloß die DDR auf diesem Weg zu verlassen, gab es für mich zwei Möglichkeiten. Entweder die Grenze zu Westberlin ungesetzlich zu überwinden oder mein Vorhaben in der CSSR zu verwirklichen. Zunächst entschloß ich nach Berlin zu fahren um mir die Grenze zu Westberlin anzusehen. Am 1.6.1983 begab ich mich auf den Bahnhof in Bitterfeld und kaufte mir eine Fahrkarte nach Berlin. Da ich hätte am 1.6.1983 wieder arbeiten müssen, schrieb ich vom Bahnhof aus eine Karte an meinen Betrieb, worin ich ihm mitteilte, daß ich krankgeschrieben sei. Was allerdings nicht der Wahrheit entspricht. In Berlin angekommen habe ich einen Stadtbummel gemacht und war auch auf den Fernsehturm. Ich dachte, daß man von da eine günstige Stelle zum Überklettern der Mauer sehen kann. Das war nicht der Fall, so daß ich später gegen zwei Uhr zwischen der Friedrichstraße und dem Brandenburger Tor an der Grenze entlanggegangen bin um diese aufzuklären. Mir war die Sache aber dann an dieser Grenze doch zu riskant, so daß ich beschloß, mein Vorhaben in der CSSR, an der dortigen Grenze zur BRD, durchzuführen. Zu diesem Zweck kaufte ich mir im Bahnhof Lichtenberg am 2.6.1983 eine Hinfahrkarte bis Prag und tauschte auch die Zahlungsmittel der CSSR auf der dortigen Wechselstelle um. Beides, die Fahrkarte und die Zahlungsmittel sollten mir zur Durchführung meines Vorhabens dienen. In Vorbereitung auf den illegalen Grenzübertritt habe ich schon zu Hause einige Unterlagen und die oben bereits genannten Schreiben eingepackt. Zu welchem Zweck ich die Schreiben mitgenommen, kann ich jetzt nicht mehr sagen. Das sind eigentlich alle Vorbereitungen die ich getroffen habe.
Weshalb lösten Sie nur eine Hinfahrkarte nach Prag?
Diese Frage ist einfach zu beantworten. Da ich mir fest vorgenommen hatte mein Vorhaben unbedingt zu realisieren kam mir gar nicht der Gedanke auch noch eine Rückfahrkarte zu kaufen. Von Prag aus wäre ich schon irgendwie bis in das Grenzgebiet von Plzen gekommen.
Unter Ihren mitgeführten Unterlagen befinden sich zwei Geburtsurkunden ausgestellt in Rheinfelden/BRD auf Ihren Namen lautend, eine Sterbeurkunde ausgestellt in Lahr/BRD auf Ihren Vater lautend, ein Zeugnis über Berufsausbildung und ein Facharbeiterbrief beide auf Ihren Namen lautend. Äußern Sie sich dazu!
Ich habe den Vorhalt verstanden und antworte auch darauf. Eine der beiden Geburtsurkunden ist das Original und die Sterbeurkunde meines Vaters. Zu diesem Zweck habe ich selbst dorthin geschrieben, um meinen Bruder nicht auch noch mit dieser Sache zu behelligen. Diese Urkunden, ebenso die Nachweise über meine berufliche Entwicklung habe ich mitgenommen, um bei den Behörden der BRD etwas in der Hand zu haben. Man muß doch nachweisen können, wer man ist.
Wie verlief Ihr Weg vom Wohnort, bis zu Ihrem eintreffen an der Grenzübergangsstelle Bad Schandau?
Ich schilderte ja bereits, daß ich am 1.6.1983 meine Wohnung verlassen habe, um mein Vorhaben zunächst in Berlin durchzusetzen. Von Bitterfeld fuhr ich so gegen zwölf Uhr ab und traf 17 Uhr in Berlin/Ostbahnhof ein. Nach dem Stadtbummel und der nicht erfolgreichen Aufklärung der Staatsgrenze zu Westberlin, begab ich mich um drei Uhr außerhalb des Stadtzentrums, auf einer Wiese zur Ruhe. Nach dem Aufstehen am 2.6.1983 fuhr ich zum Alex, holte mein Gepäck, welches ich dort eingeschlossen hatte und begab mich zum Bahnhof Lichtenberg. Ich kam dort so gegen 11 Uhr an und erledigte den Fahrkartenkauf und den Geldumtausch. Anschließend habe ich mich noch geduscht und bin dann mit den Zug um 16.38 Uhr in Richtung Prag abgefahren. Hier in Bad Schandau traf ich gegen 20 Uhr an, wurde kontrolliert und mußte den Zug verlassen.
Welche Personen haben von Ihrem geplanten ungesetzlichen Grenzübertritt Kenntnis?
Von den Vorhaben hat keine weitere Person Kenntnis.
Aus welchen Gründen wollten Sie die DDR auf dem weg des ungesetzlichen Grenzübertritts verlassen?
Die Gründe für meinen Schritt sind im Prinzip familiärer Natur. Erstens bin ich in der BRD geboren und möchte wieder in meine Heimat zurück und zweitens habe ich einen Bruder in der BRD und auch noch einige Verwandte. Diese möchte ich nicht erst sehen wenn ich als Rentner in die BRD fahren kann. Zudem durfte ich nicht in die BRD fahren, als mein leiblicher Vater 1981 verstorben ist. Auch bei anderen Familienahngelegenheiten wurde die Reise abgelehnt. Das sind meine Gründe, dem habe ich nichts hinzu zu setzen.
Welche Verbindungen unterhalten Sie in das kapitalistische Ausland beziehungsweise nach Westberlin?
Außer zu meinem Bruder Klaus-Dieter Zehnle unterhalte ich noch zu meiner Tante und meinem Onkel Agnes und Josef Zehnle, wohnhaft in 7631 Lahr, Loh 17 postalische Verbindung. Früher bestand über meinen Bruder in der BRD noch die Verbindung zum Bundeskanzleramt beziehungsweise zum Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen welche allerdings seit einiger Zeit abgebrochen ist. Weitere Verbindungen bestehen nicht.
Wie stellen Sie sich ein Leben nach erfolgtem ungesetzlichem Grenzübertritt vor?
Zunächst wollte ich meinem Bruder und meine nächste Verwandtschaft in Lahr/BRD aufsuchen. Dort wollte ich erst einmal ständigen Wohnsitz nehmen. Die Verwandtschaft hat einen großen Bauernhof auf welchem ich mitarbeiten wollte. Arbeitskräfte werden überall gebraucht. Dann wollte ich mir eine eigene Existenz aufbauen. Weiter gingen meine Vorstellungen über ein Leben in der BRD zunächst nicht.
Haben Sie noch Zusätze zum Vernehmungsprotokoll zu machen?
Hiermit möchte ich zum Ausdruck bringen, daß ich, obwohl ich jetzt hier sitze, an meinem Vorhaben, in die BRD zu gelangen, festhalten werde. Ich werde alle Mittel anwenden um zu meiner Familie in die BRD zu kommen. Ich habe das Vernehmungsprotokoll gelesen. Es entspricht in allen Teilen meinen gemachten Aussagen. Meine Worte sind darin richtig wiedergegeben. Während der Vernehmung wurde mir die Möglichkeit gegeben, einen Kaffee zu trinken. Ich habe davon Gebrauch gemacht.
Gemäß § 106 StPO haben Sie das Recht, die heute gefertigte Schallaufzeichnung nochmals zu hören. Wollen Sie davon Gebrauch machen?
Ich weiß, was ich gesagt habe. Es braucht nicht zu sein.
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Abbildung: 5. Ausreiseantrag 1980 Jürgen Zehnle an Honecker - Ich war 20 Jahre und stellte 1978 mit 18 den 1. Antrag: Alle wurden, wie nicht anders zu erwarten war, nicht genhemigt...

Untersuchungsführer: Ultn. ... Oltn. ...

In Kürze geht es weiter...
Also noch etwas Geduld und wieder einmal hineinschauen auf diese HP-Seiten.